3
Okt
2011

Neue Schule, alte Schule

Heute war ich zum ersten Mal im Tabasalu Ühisgümnaasium, meiner neuen Schule. In der ersten Stunde gab es (wie jeden Montag) eine Versammlung der LehrerInnen, wo die Sozialpädagoginnen der Schule irgendwelche Informationen gaben, und dann ein Lehrer ein langes Dokument vorstellte, welches man auf der Website der Schule finden kann und in dem steht, was in verschiedenen Situationen zu tun sei - von Feueralarm bis Verdacht auf Drogenmissbrauch bei Schülern.
Ich wurde auch vorgestellt und begrüßt, und tat artig kund dass ich mich freute zwei Wochen an der Schule zu Gast zu sein.
Danach ging es ans Unterrichten. Es gibt zwei Deutschlehrerinnen an der Schule, Krista Savitsch und Tamara S. Letztere praktiziert Deutschunterricht der alten Schule, wenn man es so ausdrücken will. Vokabelabfragen, Text hören und lesen, Text lesen, Vokabel vorlesen, usw. Sie schlug vor, ich könnte dann die Rolle des Kellners in einem Kaffeehaus übernehmen. Yeah, Klasse! dachte ich und regte an, die Schüler in Gruppen zusammen zu setzen, damit die Situation ähnlicher wie im Kaffeehaus sei. Das war der Kollegin aber dann doch fast zu viel, ich konnte sehen, dass es ihr nicht leicht fiel, sich von ihrem gewohnten Unterricht so weit zu entfernen. Aber sie war am Ende trotzdem einverstanden.
Und so verlief mehr oder weniger der ganze Tag, unterbrochen von den Stunden mit Krista. Mit ihr arbeite ich besser zusammen. Unsere Unterrichtsphilosophie ist ganz einfach ähnlicher.
Was ich sagen will: Die Unterrichtsmethoden in Estland sind wirklich vergleichbar mit jenen in Österreich, und es gibt hier auch solche vom alten Schlag. Das hatte ich ja schon in Pärnu bemerkt, finde ich aber hier wieder bestätigt.
Ich sollte irgendwann einmal was über das estnische Schulsystem im Allgemeinen schreiben, was ich damals in der Nationalbibliothek alles erfahren habe. Das schiebe ich so vor mir her, keine Lust drauf. Für heute reicht's mir sowieso schon. Morgen mehr.

2
Okt
2011

Tabasalu

Ich bin gestern abend hier in Tabasalu angekommen, wo ich nun die kommenden zwei Wochen verbringen werde. Nach Pärnu und noch mehr nach Saaremaa war es eine ziemliche Umstellung, als ich mit dem Bus nach Tallinn kam. So viel Licht, so viel Verkehr - und auf Saaremaa gibt es genau eine Ampel, und die nur vorübergehend einer Baustelle wegen. Estland ist dünn besiedelt, aber auf Saaremaa lebt man nochmal etwas abgeschiedener. Habe ich erwähnt, dass ich beim Hinfahren vom Bus aus einen Fuchs gesehen habe? Schätze, der ging grad dem Hasen Gutenacht sagen.
Naja, und nach Kuressaare und Naturgenuss und 4-Sterne-Hotel komme ich nach Tabasalu und Vorstadt und Gemeindewohnung. Wo ich wohne, wohnt sonst niemand, außer seine Wohnung ist abgebrannt oder andere Sonderfälle (Gastlehrer z.B.). Erster Stock im Wohnblock - sicher sind die anderen Wohnung schick renoviert, aber ich wohne hier in Sowjet-Ambiente. Aber es ist sauber und warm, ich habe zwei Balkone und jede Menge Platz - wos wuin's um den Preis?
Krista Savitsch, meine Kontaktlehrerin hier, hat mir Bettwäsche gebracht und ein bisschen Geschirr und was man sonst so braucht. Ich versuche, es bewohnt aussehen zu lassen - vielleicht wenn ich die Türen der anderen beiden, vollkommen leeren Schlafzimmer einfach zumache...? Na bitte, gleich besser.
Heute vormittag hat mich Krista erneut besucht, gemeinsam mit dem IT-Chef der Schule, der zwei Stöcke über mir wohnt. Er hat ermöglicht, dass ich nun das WLAN einer Nachbarin mitverwenden kann, selbstverständlich mit deren Einverständnis. Danach hat mir Krista den Supermarkt gezeigt und den Naturpark gleich daneben. Da geht man durch den Wald und plötzlich sieht man durch die Bäume das Meer. Dreißig Meter geht's runter, Steilküste, Kalksteinklippen und bewaldete Abhänge. Über Stufen geht's runter zum Meer, wo zwischen Klippen und Wasser ein schmaler Streifen aus Schotter und Muschelsand verläuft. Es ist schon eigenartig: Das Meer ist an keinen zwei Orten gleich, und hier in Estland erlebe ich das Meer ganz anders als z.B. in Spanien: So sanft plätschern die Wellen dahin, wuchert der Wald bis an den Rand, und der Übergang von Land zu Meer beginnt schon vor der Küste und ist danach mehrfach reversibel. Die Grenze zwischen Wasser und Land ist in Estland durchlässig.
Nachdem ich also heute Tabasalu bei Sonnenlicht gesehen habe und diesen schönen Naturpark in meiner Nähe weiß und mich im Supermarkt mit weiteren Artikeln des täglichen Bedarfs versorgt habe, ist die Stimmung schon deutlich besser. Morgen werde ich die neue Schule kennenlernen und umgekehrt. Um 8 Uhr gibt es eine Versammlung der Lehrer, wo ich offiziell als Gastlehrer willkommen geheißen werde. Da bin aber mal gespannt.

30
Sep
2011

Mit DIESEN Schuhen gehst du mir nicht ins Haus!

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Ein 3D-Fußabstreifer, gewissermaßen. Man ist auf nasses Wetter und gatschige Wege eingestellt.
Dazu passt, dass ich im Reiseführer gelesen habe, dass man sich in Estland beim Betreten einer fremden Wohnung jedenfalls die Schuhe ausziehen soll - und es stimmt! Habe ich selbst beobachtet.

Nettes Hotel, Frau Botschafter!

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Mein Zimmer hier in Kuresaare. Die österreichische Botschaft hat sich bei der Unterbringung nicht lumpen lassen. Kommt wahrscheinlich immer noch billiger, als dass wer von ihnen selbst runter fährt.
Ich überlege mir, ob ich nicht eine Karriere als Vortragender zu irgend einem ganz wichtigen Thema starten könnte. Muss aber feststellen, dass ich zu keinem ganz wichtigem Thema kompetent genug bin, dass mir jemand ein Hotelzimmer dafür zahlen würde. Und wahrscheinlich verliert das auch irgendwann seinen Reiz - wenigstens jetzt kann ich mich noch über coole Hotelzimmer, die ich mir sonst nie leisten würde, freuen.

Salme

Heute hab ich den Vortrag in Salme gehalten. Nicht aufregend. Ich sollte ihn auf Englisch halten, vor ca. 40 Schülern, hauptsächlich 8. und 9. Klasse (was bei uns 5. und 6. Klasse wäre), aber auch ein paar kleinere. Von den vierzig Schülern werden drei demnächst im Rahmen eines Comeniusprojektes nach Judenburg fahren.
Ich will eigentlich nicht über den Vortrag erzählen, das ist nicht so spannend. Stattdessen gibt es eine kleine Rückblende auf Mittwoch, als wir nach Tartu fuhren. Da hatte ich nämlich Gelegenheit, mit Ave über verschiedene Themen zu plaudern, und das war ganz interessant.
Auf meine Bemerkung, dass ich in Estland stets sehr herzlich empfangen worden sei, meinte sie, dass es stimme, die Esten seien sehr herzlich - SOBALD eine Art von Beziehung hergestellt sei. Wie in meinem Fall, ich bin der Gastlehrer aus Österreich. Ansonsten "haben es die Esten irgendwie in sich drinnen", gegenüber Fremden eine gewisse Zurückhaltung an den Tag zu legen, wahrscheinlich auch historisch bedingt, immerhin sind über Jahrhunderte Fremde stets gekommen um die Esten zu beherrschen. Integration ist sowieso kein Thema in Estland, eher Emmigration. Tatsächlich gibt es auch am Pärnu Ülejõe Gümnaasium einige Schüler, deren Eltern unter der Woche in Finnland oder Schweden arbeiten. Die Kinder leben dann bei ihren Großeltern... oder alleine. Wenn dies den Lehrern auffällt, wird der Sozialarbeiter verständigt. Realität im estnischen Schulalltag.
Ave meinte auch, dass der Respekt der Schüler vor den Lehrern und die Disziplin von Jahr zu Jahr abnimmt. Sie selbst hat noch die Schule in der Sowjetära erlebt, und da hatte sie sowas von einem Heidenrespekt vor den Lehrern. Den sieht sie heute bei den Schülern nicht mehr (dieser Eindruck würde übrigens von Marina, meiner Kontaktperson der Schule in Salme, bestätigt). Ave und ich kamen zu der Vermutung, dass dieses Mehr an Disziplin, dass die estnischen Schüler im Vergleich zu Österreich oder anderen Ländern aufweisen, noch der Nachklang der autoritären Schule der Sowjetunion ist. In ein paar Jahren würde sich das demnach dem europäischen Durchschnitt angenähert haben.
Nur um das klar zu machen: Weder Ave noch ich weinen dem autoritären Unterrichtsstil eine einzige Träne nach. Der Schluss, der aber naheliegt, ist folgender: Der auffallendste Unterschied zwischen der Schule in Estland und Österreich ist die hohe Disziplin der Schüler. Ich vermute, dass darin die Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse bei PISA und Co. liegt. Wenn das Verhalten der Schüler sich nun an den europäischen Mainstream angleicht, müsste sich auch das Leistungsniveau der estnischen Schüler angleichen. Die Prognose würde lauten: Bei der nächsten PISA-Studie liegt Estland nicht mehr so weit vorne.
Jetzt kommen die Abers: Erstens gibt es noch einen zweiten wichtigen Unterschied, und das sind die sozialpädagogischen Maßnahmen, die es im estnischen Schulsystem gibt (siehe Eintrag vom x.9.). Vielleicht können diese bewirken, dass das Verhalten und die Arbeitseinstellung der Schüler auf einem höheren Niveau bleibt.
Zweitens ist der Zusammenhang zwischen Disziplin und Arbeitshaltung nur eine Vermutung. Marina meinte heute, dass die Esten selbst sehr überrascht seien über das gute Abschneiden Estlands beim PISA-Test. Die Lehrer sehen die Leistungen ihrer Schüler nicht so außerordentlich. Die Anforderungen, die aber vom Lehrplan her gestellt würden, seien sehr hoch. Der Lehrplan ist stark auf Inhalte, und zwar auf VIELE Inhalte, konzentriert. Die SchülerInnen müssen also viel lernen, und die Lehrer machen dementsprechend Druck. Im Vergleich mit finnischen Schülern lernen die Esten beispielsweise wesentlich mehr - Finnland liegt im PISA-Ranking vor Estland, aber Estland vor dem Rest von Europa.
Man kann auch noch die Aussagekraft von PISA infragestellen, was schon viele gemacht haben, und ich bin dem auch nicht ganz verschlossen. PISA liefert, wie alle Studien dieser Art, Hinweise, aber mehr auch nicht. Interessant ist es jedenfalls, in Estland genau hinzuschauen und zu sehen, was anders gemacht wird. Manches kann man ja vielleicht übernehmen.
Das wird die Herausforderung, wenn ich zurück nach Österreich komme. Überlegen, wie ich von dem hier Gelernten Nutzen für meinen Unterricht oder meine Schule ziehen kann. Man könnte doch...?

29
Sep
2011

Kuressaare

Seit meinem letzten Eintrag sind ein paar Tage vergangen, und Routine oder Langeweile sind noch immer nicht in Sicht. Diesen Eintrag schreibe ich schon im Hotel Arensburg in Kuresaare auf der Insel Saaremaar. Das Hotel ist piekfein, im Hotelrestaurant hat mir die Kellnerin mit Samthandschuhen das Besteck serviert, was mich auch ein bisschen eingeschüchtert hat, denn in solchen Situationen habe ich immer Angst mich daneben zu benehmen.

Mein Aufenthalt in Pärnu ist also schon zu Ende. Ich habe mich mit ein bisschen Wehmut von Ave, Gert und der Stadt verabschiedet. Es waren schöne eineinhalb Wochen, die ich hier verbracht habe, und ich habe sehr nette Leute kennengelernt. Und die letzten Tage waren nochmal ziemlich cool.

Die Moorwanderung war ein Highlight. Es ist, als ob man durch ein riesiges Salatbuffet marschiert - an manchen Stellen trägt einen das Gemüse, an manchen Stellen gibt es nur Marinade. Und alle Abstufungen dazwischen, von "mit Vorsicht begehbar" über "mit Schneeschuhen begehbar" bis "trägt nicht einmal mit Schneeschuhen". Der Park Ranger, der uns da herumgeführt hat, hat sich übrigens als der Vize-Weltrekordhalter im Kiiking herausgestellt. Was man für Leute trifft.
Das Gebiet des Nationalparks wird alle Jahre im Frühjahr überschwemmt. Dann steht kilometerweit das Wasser meterhoch auf den Feldern, im Wald auf den Straßen, zwischen den paar verbliebenen Bauernhöfen. Man nennt es dort die fünfte Jahreszeit. Das Hochmoor ist dann sogar der vergleichsweise trockenste Platz dort. Aber der Nationalpark wird dann auch von tausenden Kajakfahrern bevölkert.

Zurück in Pärnu hatte ich noch ein bisschen Zeit um mit Ave einkaufen zu gehen für den österreichischen Kochabend. Zusammen mit drei anderen Deutschlehrerinnen von anderen Schulen bereiteten wir Kürbiscremesuppe und Kaiserschmarrn zu. Kürbiskernöl hatte ich aus Österreich mitgebracht, statt Zwetschkenröster gab es Pflaumenkompott. Man muss halt ein wenig improvisieren. Für den richtigen Kaiserschmarrn ist es sowieso am besten, nach Österreich zu fahren.
Das Interesse war sehr groß - ob man das Öl auch in Estland bekommt, wie man den Eischnee in den Schmarrnteig einarbeiten muss, usw. Auch die Austriazismen, die mir quasi zwangsläufig rausgerutscht sind, waren ein mit Interesse aufgenommenes Thema. Achja, geschmeckt hat es auch.

Während dieser Veranstaltung hat mit Ave auch gesagt, dass ich am nächsten Tag nach Tartu mitfahren könnte. Die holländische Schülergruppe würde dort das Aahaa-Zentrum besuchen, und Ave sollte als Begleitlehrerin mit, und ursprünglich sollte ich daher am Mittwoch alleine unterrichten. Aber Ave hat es irgendwie so gedreht, dass sie eine Vertretung gefunden hat, und ich konnte also mit nach Tartu... jetzt hab ich dann eh schon fast alle Ecken von Estland gesehen. Aber ich bin zufrieden, keine Frage.
Das Aahaa-Zentrum ist ein kürzlich eröffnetes Wissenschaftsmuseum. Wirklich schön gemacht, lustige und originelle Aktivitäten.
Von Tartu zurück haben Ave, Gert und ich noch ein, zwei Bier im Alexanderi-Pub, dem Stammlokal der Lehrerpartie, gestemmt. Ein Bikerlokal, nebenbei bemerkt.

Heute drei Stunden unterrichten, Mittagessen, eine Stunde Vortrag im Humanitaarümnaasium, wo Epp und Ene arbeiten, die ich schon am Kochabend kennengelernt hatte. Dann heim und packen und zum Bus, und hier bin ich. Und über die Insel schreib ich morgen, denn ich bin müde und sollte wirklich ins Bett gehen.

27
Sep
2011

Vor dem Ausflug

Es ist 8 Uhr morgens, ich sitze in Gummistiefeln im Konferenzzimmer. In einer knappen Stunde werde ich mit einer holländischen Schülergruppe und ihrer Begleitlehrerin in den Bus steigen und wir fahren in den Sooma-Nationalpark. Eve, die estnische Kontaktlehrerin, que es un sol tambien, war so freundlich mich ebenfalls zu diesem Ausflug einzuladen und mir sogar Gummistiefel zu borgen. Die Holländer sind hier im Rahmen eines Horizon-Projektes, nur nebenbei bemerkt.

Das Wochenende war durchwachsen, weil ich den Endbericht für das IMST-Projekt von der Kurzwiese abgeschlossen habe. Darum hatte ich gestern aber schon überhaupt keine Lust, mich nochmals vor den Computer zu setzen und etwas für den Blog zu schreiben.
Freitags war ich mit Gert und seiner Freundin Marleen und deren Sohn Margus in der Pizzeria "Steffani". Italienische Küche von finnischen Köchen in Estland, angeblich die beste Pizzeria in Estland. War auch wirklich gut, die Pizzen ohne Rand, auf Wunsch extradick, und ca. die Hälfte der Pizzen auf der Karte kam mit Faschiertem. Die Esten sind echte Fleischtiger.

Am Samstag feierte Gerts Bruder seinen Geburtstag mit einem Familienessen, und ich wurde mitgebracht. Mir gefiel, wie ich mit einer Mischung aus freundlichem Interesse und respektvoller Selbstverständlichkeit aufgenommen wurde. Zu Essen gabs gefüllte Eier, gefüllte Schinkenrollen, Rote-Rüben-Salat mit Fisch und Mayonaise, Nudelsalat mit Mayonaise und einen Kräuter-Knoblauch-Mayonaise-Dip. Nach dem Essen war mein Cholesterinspiegel auf ca. 600, da spielte das bisschen Nachspeise auch schon keine Rolle mehr. Die mitgebrachten Pischinger-Haselnussecken wurden mit Wohlgefallen bis Begeisterung aufgenommen. Ich muss sagen, die estnischen Süssigkeiten, die ich bisher gekostet habe, sind nicht schlecht, aber nicht berauschend. Man ist also nicht gerade verwöhnt und Pischinger rules!
Das Gespräch verlief die meiste Zeit auf estnisch, über irgendwelche Themen, und dann kam plötzlich die Sprache auf mich oder Österreich oder Deutschland oder Physik, und alle redeten Englisch, und wir erörterten eine Frage, und nach drei Minuten gings wieder auf estnisch weiter.
Gerts Vater erzählte mir nach dem Essen von seinen Stammbaumforschungen, und dass seine Vorfahren im 17. Jahrhundert aus Deutschland gekommen waren, sein Ur-hoch-x-grossvater hatte sich als Söldner in der schwedischen Armee verdingt und in Estland gegen Polen gekämpft. Die deutsche Verwandtschaft schreibt sich mit nur einem ö, klar, und ein Zweig der Familie hat einen Verlag, den Köselverlag. Ich gebe zu, nie davon gehört, aber wenn ich in Österreich bin, werden mir die Bücher von diesem Verlag immer wieder mal auffallen, ganz sicher.

Bis zum Sonntag hatte sich mein Cholesterinspiegel wieder normalisiert, und nachdem ich den Vormittag am Computer berichtschreibenderweise verbracht hatte, machte ich mich zu einem Spaziergang auf. Ich schlug mich zur Mündung des Pärnu durch, wo auch die Frachtschiffe in den Hafen einlaufen. Dort gibt es einen Naturstrand mit einem breiten Schilfgürtel und niedrigen Weidenbüschen. Und wie schön ist das Meer...

Gestern sind Gert und ich am Abend mit dem Rad eine Runde gefahren, ich habe noch ein paar Ecken mehr von Pärnu kennengelernt, wir haben am Strand die schottischen Kühe gesucht, aber nicht gefunden, wurden von Gerts Mutter, die in der Nähe des Strandes lebt, zu Tee und Kuchen eingeladen, und radelten in der Dämmerung den Pärnu entlang an einem neu und wirklich wirklich schön angelegten Radweg zurück.

Und heute gibts also Nationalpark, am Abend werd ich mit ein paar Lehrern österreichisch Kochen, morgen hab ich am Nachmittag noch einen Vortrag, und am Donnerstag steig ich um 16.10 Uhr in den Bus nach Saaremaa. Es kommt keine rechte Routine auf bei so viel Abwechslung. Macht auch nix.

23
Sep
2011

Was die Esten in der Schule anders machen als wir

Ich habe Wochenende, Gert wird erst um 8 nach Hause kommen, ich habe eigentlich nichts vorzubereiten, und wenn, dann will ich jetzt nicht. In der Schule ist nichts Aufregendes passiert. Den 10.-Klässlern zu erklären, was ein Rausch ist (man stelle sich vor, wir haben heute mit einem Lied von Christina Stürmer gearbeitet... Didaktik overrules Geschmack), war ziemlich schwer. Das liegt daran, dass man es auf estnisch zwar mehrere Ausdrücke für "betrunken" gibt, aber für den Zustand "Rausch" kein einziges.
Ich nutze also den ereignislosen Tag, um kurz zusammen zu fassen, was ich inzwischen über Estlands scheinbar erfolgreiches Schulsystem herausgefunden habe. Aufschlussreich war in dem Zusammenhang das Gespräch mit Eevi, einer der zwei Administratorinnen (eigentlich Studienleiterinnen) der Schule. Gemeinsam mit dem Direktor schauen diese zwei nicht nur auf den Stundenplan und die Supplierungen, sondern greifen auch ein, wenn es mit einem Schüler Probleme gibt, gleichgültig ob es jetzt Lernschwierigkeiten sind oder Disziplinarangelegenheiten, unentschuldigte Fehlstunden oder Probleme der Schüler zu Hause. Ihnen steht einige Maßnahmen zur Verfügung: es gibt eine Schulpsychologin, die vier Tage die Woche (!) in der Schule ist, zwei Sonderpädagogen und Kooperationen mit dem Jugendamt und Sozialarbeitern. Die Eltern können amtlich in die Schule vorgeladen werden und sind dann VERPFLICHTET zu erscheinen, um mit dem Direktor, den Studienleiterinnen, der Schulpsychologin und eventuell einem Sozialarbeiter oder einem Sonderpädagogen das Problem zu besprechen und nach Lösungen zu suchen. Eine andere Möglichkeit ist, dass ein Sozialarbeiter die Schülern zu Hause besucht. Wenn also einem Lehrer/einer Lehrerin auffällt, dass ein Schüler oder eine Schülerin Schwierigkeiten hat, kann dieses Problem in kompetente Hände übergeben werden. Ave hat mir auch gesagt, dass die Lehrer recht zufrieden mit diesem System sind, es scheint also was zu bringen.
Eine andere Sache ist, dass es eine eigene Klasse gibt, die T-Klasse, in die jene Schüler gehen, die besondere Verhaltens- oder Lernschwierigkeiten haben. Diese Klasse ist dementsprechend kleiner, ca. 12 Leute, sodass die Kinder eine intensivere Betreuung erhalten. Der Notenschlüssel wird etwas niedriger angesetzt. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Schüler sitzenbleiben (tatsächlich ist am Pärnu Ylejoe Gymnasium in den letzten Jahren niemand aus der T-Klasse sitzen geblieben), sodass die Kinder nach der 9. Klasse, wenn die Schulpflicht endet, einen Schulabschluss haben können. Im Zeugnis wird nicht vermerkt, dass sie in der T-Klasse waren. Im Normalfall gehen diese Schüler dann ohnehin nicht weiter zur Schule sondern beginnen zu arbeiten.
Die Intention ist, Schüler mit Schwierigkeiten im System zu behalten und zu vermeiden, dass sie durch viele negative Noten frustriert werden und aufhören zu lernen. Denn so verliert man diese Schüler, wird argumentiert.
Dazu passt eine Bemerkung, die Ave heute gemacht hat: Dass alle Lehrer eine Stunde am Nachmittag haben müssen, wo sie da sind, damit Schüler zu ihnen kommen können, wenn sie mit dem Lernen Probleme haben oder Nachlernen müssen, weil sie z.B. krank waren. Dies wird von den Schülern auch in Anspruch genommen.

So viel weiß ich also bisher. Man müsste dazu noch ein bisschen was über die einschlägigen Studienergebnisse über Estland wissen und über das Schulsystem etc., um das Bild zu vervollständigen. Ich werde ein ander Mal darüber schreiben.

22
Sep
2011

Nur weil 8 Umlautpunkterl so leiwand sind

Thomas Glavinic wird auf estnisch übersetzt, dieser Tage ist in Tallinn die entsprechende Buchpräsentation. Und der Titel von Glavinic' Roman "Arbeit der Nacht" heißt auf estnisch "öötöö", könnte auch töööö geschrieben werden.

Viel zu tun, wenig Zeit

Ich bin furchtbar in Verzögerung mit dem Blog. Wenn viel los ist, gibt es viel zu schreiben, aber wenig Zeit für eben dieses. Egal, Linearität ist out.
Ich bin also schon in Pärnu, seit Montag, habe schon alle meine Klassen kennengelernt und unterrichtet und meine ersten Lernerfahrung im Deutschunterrichten gemacht. Ich habe mit der Administratorin geplaudert, eine Physikstunde und eine Estnischstunde hospitiert, war spazieren in Pärnu, bin am menschenleeren Strand in der Sonne gesessen und habe auf die Rigaer Bucht hinausgeblickt, habe im Supermarkt ungarische Erdnüsse, spanisches Olivenöl, holländische Tomaten, deutsche Taschentücher und überraschend wenig frischen Fisch gefunden, habe einen Vortrag über Österreich an einer anderen Schule gehalten und Schwarzbrot mit leckerem Frischkäse-Rote-Rüben-Kren-Aufstrich gegessen. VOR alldem bin ich am Montag in Tallinn mit meinen Koffern in den Bus gestiegen, der, nachdem er die Stadt erst einmal verlassen hatte, keine nennenswerten Richtungsänderungen mehr gemacht hat, denn die Straße von Tallinn nach Pärnu schneidet sich schnürlgrade durch den immergleichen Kiefernwald. Im-Bus-nach-Paernu
Und bevor ich in den Bus stieg, gab es diese Veranstaltung in der Nationalbibliothek. Katrin Rein vom estnischen Bildungsministerium, eine Mitarbeiterin von der estnischen Prüfungs- und Qualifkationszentrale (die machen u.a. die standardisierte Matura), die Betreuerinnen des österreichischen, des deutschen und des schweizer Lesesaales sowie die österreichische Botschafterin samt Mitarbeiterin waren aufmarschiert, um uns drei Gastlehrer in der Bibliothek zu treffen. Was wir bei den diversen Vorträgen erfuhren, will ich an anderer Stelle zusammenfassen (bin gespannt, ob ich wirklich dazu komm...). Für den weiteren Verlauf meines Estlandaufenthaltes ist jetzt einmal nur das hier interessant:
Die Botschafterin sprach mich an, ob ich Ihr einen Gefallen tun könnte, weil ich ja in Pärnu bin und die Insel Saaremaa von Pärnu aus gut zu erreichen ist, die Sache sei nämlich die, dass es auf der Insel Saaremaa in einer kleinen Stadt zwanzig Minuten von der Hauptstadt von Saaremaa, eine Schule gibt, von der eine Schülergruppe demnächst im Rahmen eines internationalen Projektes nach Österreich reisen wird. Diese Schüler möchten gerne wissen, was sie erwartet, und haben sich deshalb an die Botschaft gewandt, dort hat jedoch keiner Zeit um nach Kuresaare zu fahren und einen Vortrag zu halten. Die Lösung des Problems würde so aussehen, dass ich dorthin führe, Fahrtkosten und Hotel bezahlt bekäme und den Vortrag hielte. Wenn ich nichts dagegen hätte.

Da musste ich nicht lange überlegen.

Die Präsentation habe ich ohnehin schon vorbereitet, nachdem ich in mehreren Schulen in Pärnu auch vortragen muss. Die Mehrarbeit ist mir also wurscht, aber auf die Insel bin ich gespannt.

20
Sep
2011

Pause

Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen, ich hab stattdessen das Video für die IMST-Präsentation geschnitten. Und obwohl gestern viel los war, schreib ich lieber über heute.
Ich sitze im Lehrerzimmer des Pärnu Gymnasiums und ich habe bereits zwei Stunden Deutsch unterrichtet und je eine Stunde Geschichte und Physik hospitiert. Außerdem war ich Mittagessen in der Kantine und Kaffeetrinken im Kaffeekammerl, umringt von estnischen LehrerInnen, mir wurde Kuchen angeboten und ich schaute den KollegInnen beim Plaudern zu, ohne durch die Inhalte des Gesprächs abgelenkt zu werden, weil ich ohnehin nichts verstehe.
Im Kaffeekammerl fand ich vieles, das mir von zuhause vertraut ist, der Schmäh rennt mit ähnlicher Frequenz, der Lärmpegel ist genauso hoch, soviel zum Klischee von den stoischen, einsilbigen, humorlosen Esten. Dieses sei hiermit endgültig ad acta gelegt. Manchmal haben Klischees ja doch einen wahren Kern, diesmal aber nicht.
Die Schule ist extrem cool, vor zwei Jahren renoviert. Man hatte hier mehr Glück als andere Schulen, die jetzt dran wären, aber die aufgrund der Krise jetzt erst mal durch die Finger schauen. Jeder Lehrer hat seinen eigenen Lehrsaal, wo die Schüler hinkommen. Es gibt ein Whiteboard, einen PC mit Lautsprechern und einen Beamer. Die Klassen sind im Allgemeinen geräumig und neu möbliert. Da jeder seinen Raum hat, braucht man auch kein großes Konferenzzimmer. Es reicht ein größerer Tisch mit Sesseln und drei Computern, ein großes L-Sofa, Fernseher und Stereoanlage. Der Stundenplan wird mit Steckkarten dargestellt, der Supplierplan ist auch hier ein ausgedruckter Zettel, aber eben nur einer, nicht drei wie manchmal bei uns. Ich möchte noch nachfragen, wieviel normalerweise suppliert werden muss.
Hier und im Klo wird man aus kleinen Lautsprechern mit Musik berieselt, was ich überhaupt noch nie gesehen habe. Mehr als fünf Leute trifft man hier selten an. Wenn ich an mein Konferenzzimmer zuhause denke, wo siebzig Leute zwei Computer teilen...
Alle sind sehr freundlich, die Studienleiterin, der Schulleiter, der Physikkollege, der mich ohne zu zögern in seinen Physikunterricht mit genommen hat. Ich kann gratis in der Schulkantine Mittagessen, für den Kaffee soll ich auch nichts zahlen... Gastfreundschaft pur. Auch Gert, bei dem ich diese zwei Wochen untergebracht bin, ist "un sol", wie man auf Spanisch sagt. Aber davon später mehr.
Was ich bis jetzt vom Unterricht gesehen habe: Von der Methodik her nichts Weltbewegendes. Gruppenlernen ist halt selbstverständlicher Bestandteil, aber eben nur Bestandteil. Z.B. haben sich die 5.Klässler in den letzten fünf Minuten der Geschichtestunde gegenseitig die Begriffe aus dem Buch abgefragt. In Physik sollten die 12.Klässler in Vierergruppen zwei Fragen beantworten mithilfe der Unterlagen. Nichts was nicht auch in Österreich gemacht wird.
Der Einsatz von E-Learning ist auch ganz selbstverständlich. Der Physiklehrer (weißhaarig, keine Ahnung wie viele Jahre vor - oder nach??? - der Pensionierung) verwendete in einer Stunde: zwei Youtube-Videos, eine Powerpoint-Folie mit einem Diagramm, die Tischkamera um ein Bild aus einem Buch zu zeigen und MS Word um die Aufgaben zu stellen.
Aber ansonsten gab er einen Monolog mit ein paar Fragen an die Schüler, die ansonsten aber auch nicht sehr aufmerksam zu sein schienen. Die Stunde war weder spannend noch lebendig noch irgendwie speziell geplant.
Aber die Schüler scheinen eine Arbeitshaltung zu haben, die ich von Österreich eher als Ausnahme kenne. Der Lehrer sagt, und die Schüler machen einfach. Unglaublich! So brav. Und die Schüler bleiben konzentriert bei der Aufgabe.
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