11
Okt
2011

Zur Frage, ob ich von hier nach Finnland sehe II

Mein Bruder hatte den Einwand, dass man ja auf einen höheren Turm als die Klippen von Tabasalu steigen könnte, dann müsste es sich zumindest für die höchsten Gebäude Helsinkis ausgehen, von Estland aus sichtbar zu sein. Ich habe nachgerechnet, und stimmt, vom Tallinner Fernsehturm aus müsste man nach Helsinki sehen.
Gestern kam das Gespräch mit Ervin auf eben dieses Thema, und Ervin bestätigte: Vom Fernsehturm sieht man bei sehr schönem Wetter nach Helsinki. Ich bleibe aber dabei: Von Tabasalu aus sehe ich nicht nach Helsinki, schon gar nicht bei dem Wetter, und auf den Fernsehturm will ich auch nicht rauf.

Helsinki bleibt von mir unbeschaut!

Paide

Estnische Gastfreundschaft at its best. Ich konnte mit Ervin, der in Tabasalu in der Kommunalverwaltung arbeitet, schon letzte Woche in seinem Büro ein bisschen reden. Er hat mich damals, wie er es auch schon bei den anderen Gastlehrern vor mir getan hat, eingeladen, mit ihm nach der Arbeit in seine Heimatstadt Paide und am nächsten Tag in der Früh wieder nach Tabasalu zu fahren. Ervin pendelt nämlich täglich ca. 110 km von zu Hause in die Arbeit.
Paide ist ein kleines Städtchen zienlich genau in der Mitte von Estland, mit etwas über 9000 Einwohnern, die früher mal über 10000 waren. Doch es gibt keine Jobs dort und die Leute ziehen weg.
Ervin sagt selbst, dass der Storch in falsch zugestellt hat und dass er eigentlich für Deutschland bestimmt gewesen sei. Er lernte Deutsch in der Schule und vergaß danach wieder fast alles, doch vor fünfzehn Jahren installierte er bei sich zu Hause Satellitenfernsehen und sieht seitdem regelmäßig bis ständig deutsches Fernsehen, hört deutsche Musik, liest deutsche Zeitungen und fährt regelmäßig zu seinen Freunden in Feldkirchen an der Donau und in der Schweiz. Sein Deutsch ist hervorragend, mit einem Schweizer Akzent, den er selbst nicht so ganz erklären kann. Die Liebe zum deutschen Kulturraum begleitet ihn schon sein ganzes Leben, und auch seine Tochter teilt diese Begeisterung - derzeit ist sie als Au-pair und Studentin in Deutschland.
Ervin und seinen ca. 50 Kollegen von der Kommunalverwaltung der Gemeinde Harku, zu der auch Tabasalu gehört, stehen ca. 13000 zu verwaltende Einwohner gegenüber. Gemeinsam mit einem Kollegen ist Ervin für alle Kindergärten, Schulen und auch ein bisschen für das Kulturleben in der Gemeinde zuständig. Die sieben Kindergärten bieten in etwa 850 Plätze, also deutlich zu wenig.
Neben der Tabasalu-Schule (850 Schüler) gibt es noch zwei andere Schulen mit insgesamt 130 Plätzen. Die Schulleitung wird übrigens vom Bürgermeister angestellt.
Ervins siebzehnjähriger Sohn Gert war so freundlich mich mitzunehmen als er am Abend ausging um mit seinen Freunden abzuhängen. Er erwies sich als sehr offener und mitteilsamer Bursche, auch seine Freunde waren sehr nett, sprachen jedoch nicht viel, da sie ihre Englischkenntnisse für nicht ausreichend hielten. Gert redete dafür umso mehr und ich konnte auch ein wenig die Perspektive der Schüler ein wenig kennenlernen. Zusammenfassend kann man sagen, dass man offenbar recht zufrieden ist mit der Schule, sie wird als Ort des Lernens gesehen (und nicht als Ort des Knechtens). Es fielen auch Worte über Lehrer, die sich nicht auskennen oder durch ihre repetitiven Ermahnungen eher lächerlich wirkten ("You'll get a minus for that!"), aber sonst überwiegte die positive Einstellung.
Ich hatte heute Gelegenheit, dies von anderer Seite bestätigen zu lassen. Ich konnte nämlich mit der stellvertretenden Schulleiterin hier, Kersti Vana, ein langes Gespräch führen - über die Schule im Allgemeinen, in Estland und in Tabasalu im Speziellen. Sie erzählte mir, wie im Gymnasium Tabasalu mit Schülern mit Lern- oder Verhaltensproblemen umgegangen wird. Und wir sprachen auch über eine Umfrage, die an der Schule unter Eltern und Schülern durchgeführt wurde, wo unter anderem die Zufriedenheit der Schüler erhoben wurde.

Was die Esten noch alles in der Schule anders machen

Wenn ich Kersti Vana richtig verstanden habe, gibt es in Tabasalu keine T-Klassen wie in Pärnu. Probleme der Schüler werden bereits in der Grundschule angegangen. Es gibt Fördergruppen, in denen z.B. Lesetrainings oder Logikübungen gemacht werden. Die Fördergruppen finden während der Unterrichtszeit statt, die betreffenden Schüler werden einfach für die Zeit aus dem Unterricht geholt. Wenn die Schüler die Grundschule abschließen, sollten sie demnach schon auf die Sekundarstufe vorbereitet sein, auch was die Arbeitshaltung betrifft.
Bei Verhaltensproblemen gibt es wie auch bei uns zuerst einmal das individuelle Gespräch mit dem Schüler, wo die Absichten der Lehrperson und des Schülers klar gemacht werden. Dass die Pausen in Estland mindestens zehn Minuten dauern, erleichtert dies wohl. Oft folgt dann auch ein eben solches Gespräch mit den Eltern. Bringt dies immer noch keine Besserung gibt es auch in Tabasalu Schulpsychologen und Sozialpädagogen.
Die Eltern sind wie gesagt verpflichtet, bei Vorladung in der Schule zu erscheinen. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, klopft gleich mal der Sozialarbeiter an die Tür.
Eine weitere Verpflichtung der Eltern besteht z.B. darin, bei Fällen von Mobbing oder Bullying den Klassenvorstand zu informieren. Eltern und Lehrer sollen den gleichen Informationsstand haben, ist die Politik; die Kooperation der Schule mit den Eltern ist sehr wichtig und kann eben auch von Gesetzes wegen eingefordert werden.
Es gab noch ein paar interessante Sachen, aber ich erinnere mich jetzt nicht an alles. Dieser Artikel wird also noch ergänzt werden. Für den Moment reichts.

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe:
Immigration in Estland
Russen in Tabasalu
Die Umfrage unter Eltern und Schülern
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Zuletzt aktualisiert: 15. Okt, 07:06

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